Bilal Tanweer: Explosives Zusammentreffen einzelner Lebensgeschichten

Verschiedene Geschichten einzelner Persönlichkeiten treffen sich in Karatschi, der grössten Stadt Pakistans und eine der grössten Städte der Welt, zu einem explosiven Höhepunkt. Bei einer zentralen Busstation geht eine Bombe hoch und reisst zahlreiche Menschen mit in den Tod. Erzählungen aus einer Stadt, in welcher Willkür, Gewalt und Tod immer auch zum Alltag gehören. Berührender Roman von Bilal Tanweer.

Auf meiner BUCHweltreise zog es mich nach Pakistan in eine der grössten, aber auch unbekanntesten Städte der Welt. Nach Karatschi. Bis 1959 war die grösste Stadt Pakistans zugleich Haupstadt des Landes. Rund 15 Millionen Menschen leben in Karatschi, beinahe 16 Millionen in der Agglomeration. Doch diese Einwohnerzahlen beruhen auf Hochrechnungen auf Basis von Volkszählungsergebnissen, da in Pakistan keine Behörde zur Registrierung des Wohnsitzes von Personen existiert.

Unabhängige Geschichten mit Gemeinsamkeiten

Ich tauchte ein in die Geschichten verschiedener Persönlichkeiten von Karatschi. Unabhängige Erzählungen aus dem Leben der Bewohner, welche sich im immer gleichen Punkt treffen – an der Cantt Station, einer zentralen Busstation von Karatschi. Eine grosse Explosion erschüttert die Stadt und reisst unzählige unschuldige Menschen mit in den Tod. Der Anschlag ist Sinnbild für das Leben in der Stadt. Armut, Kriminalität und die Angst vor Gewalt begleiten die Bewohner tagtäglich. Die einzelnen Geschichten enden immer wieder an der Cantt Station. Jedesmal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet.

Da ist ein alter Herr, der Genosse Sukhansaz, welcher einst die Revolution vor die Familie stellte und nun seine Nachfahren besuchen möchte, wie es mir schien. Doch bei der Cantt Station nimmt sein Unterfangen ein brutales Ende. Weiter sein Enkel oder die junge Aapa, welche sich heimlich mit dem Nachbarsjungen trifft. Ein absolutes Fehlverhalten in der Gesellschaft Pakistans und in den Augen ihrer Grossmutter. Und da ist noch ein Journalist, welcher lieber Schriftsteller wäre und in dessen Erzählungen sich alles verbindet. Oder Sadeq, welcher auf die kriminelle Bahn gerät, daraus aussteigen möchte und dazu keine Chance mehr erhalten wird. Geschuldet dem explosiven Aufeinandertreffen der Geschichten an der Cantt Station.

Ich betrachte sein lächelndes Gesicht, danach das marode, alte Gebäude, und versuche, meine wirren Gefühle zu ordnen. Gut möglich, dass ich in diesem Moment zum ersten Mal begreife, dass sowohl Menschen als auch Orte aus Erinnerungen bestehen und genau aus diesem Grund wichtig für uns sind: Wir konstruieren unser Selbstverständnis, indem wir mit ihnen Zwiesprache halten.

Das ist mir bestimmt nicht klar bewusst, weil ich noch zu klein bin, aber ich beginne, ein Gefühl für diese Stadt zu entwickeln – ein Gefühl fortwährender Verluste.

Zu Beginn war es für mich sehr schwierig, die einzelnen Geschichten einzuordnen. Doch je weiter ich las, umso mehr erkannte ich die anderen Persönlichkeiten, auch wenn ich noch etwas länger brauchte, um gewisse Zusammenhänge zu erkennen. Einige sind mir bis jetzt unklar. Der Schnittpunkt an der Cantt Station wird jedoch schnell einmal klar und die Erzählungen für sich betrachtet, sind allesamt sehr spannend zu lesen. Es ist kein Krimi oder Komödie. Es sind Ausschnitte aus den Leben von Personen, die den Alltag von Karatschi erleben.

Romandebüt des Autors Bilal Tanweer

Der junge Autor Bilal Tanweer wurde 1983 selbst im pakistanischen Karatschi geboren. Er studierte Creative Writing an der Columbia University in New York (USA). Bilal Tanweer lebt heute in Lahore im Nordosten Pakistans, der nach Karatschi zweitgrössten Stadt des Landes. Der Autor schreibt auf Englisch, seine Muttersprache ist jedoch Urdu. Mit Die Welt hört nicht auf publizierte er seinen ersten Roman.

BUCHweltreise in Pakistan

Den Weg nach Pakistan fand ich dank der Literarischen Weltreise von Hanser Literaturverlage. Auf deren Seite kann man mit Büchern um die Welt reisen und gar auf einer interaktiven Karte nach neuen LESEreisezielen suchen. Interessant und spannend für alle, welche mal was neues und unbekanntes lesen möchten. Ganz so, wie ich dies mit meiner BUCHweltreise auch tue. Ich wünsche allen weiterhin viel Spass beim lesen und reisen – oder beides gemeinsam.


Dieser Beitrag erschien am 8. November 2018 im Rahmen der BUCHweltreise auf meinem Blog querdurchdenalltag.com.

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Kurzbeschreibung

Die Millionenmetropole Karatschi in Pakistan, „kaputt, schön und aus brutaler Gewalt geboren“, ist eine der größten und doch unbekanntesten Städte der Welt. Bilal Tanweers Romandebüt verknüpft die Geschichten verschiedener unvergesslicher Figuren: Genosse Sukhansaz, der die Politik über die Familie stellte und daran zerbrach. Sein Enkel, der halbseidenen Geschäften nachgeht, Aapa, die sich heimlich mit ihrem Nachbarn trifft, und ein Journalist, der eigentlich Schriftsteller sein möchte, und in dessen Erzählung sich alles verbindet. Als an der zentralen Busstation eine Bombe explodiert und Karatschi für einen Moment stillzustehen scheint, prallen ihre Geschichten noch einmal neu aufeinander.

Bilal Tanweer Die Welt hört nicht auf

Buchtitel: Die Welt hört nicht auf

Erscheinungsdatum: März 2016

Autor: Bilal Tanweer

Verlag: Hanser Literaturverlage

Haupthandlungsort: Asien, Pakistan, Karatschi

Genre: Roman

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