Fiston Mwanza Mujila: Sex, Gewalt und Hinterhältigkeit im Tram 83
Begeben wir uns ins Tram 83. Eine Welt aus Alkohol, Sex und Hinterhältigkeit. In einen Club, wo sich Küken und Single-Mamis den Arbeitern aus Stadtland anbieten. In die Welt von Requiem, dessen einziger Freund er selbst ist. Alle anderen nutzt er schamlos aus und hat so Macht über so manchen Mächtigen der Stadt.
Im Tram 83 trifft sein Jugendfreund Lucien auf eine ihm unbekannte Welt. Er fühlt sich im Tram 83 so fehl am Platz, wie er dort als Schriftsteller auch tatsächlich falsch ist. Er sucht nicht den Rausch, auch nicht den schnellen Fick. Er will schreiben. Und er ist Requiem ein Dorn im Auge.
Eine ungewohnt geschriebene Geschichte zweier Jugendfreunde in einer Welt, in der Freundschaft keinen Platz hat. Kommt mit auf BUCHweltreise in den Kongo von Fiston Mwanza Mujila. Nach Stadtland ins Tram 83.
Ungewohnter Schreibstil
Der kongolesische Autor Fiston Mwanza Mujila erzählt die Geschichte der Jugendfreunde Requiem und Lucien auf ungewohnt offene Art. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und schreibt so klar, wie man sich in Europa kaum getraut zu sprechen. Mit seinen teils seitenlangen Sätzen prescht man quasi in Windeseile voran, sind die Sätze häufig doch aufgebaut wie Aufzählungen, welche sich unglaublich schnell lesen lassen. So unnütz mir so manche Informationen auch vorkamen.
So deutlich seine Worte sind, so schnell springen bestimmte Satzfetzen hin und her. Immer wieder kommen wie aus dem Nichts Aussagen der Küken, Single-Mamis, Kellnerinnen und Aushilfskellnerinnen mitten hinein in einen Text, der danach einfach wieder weiter geht. „Trinkgeld!“ Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen, was mir nach ungefähr einem Drittel der Lektüre auch gelang. „Ich blase für mein Leben gern.“ „Was sagt die Uhr?“ „Ich habe Silikontitten.“
Ungleiche Freundschaft
Die Hauptdarsteller, Requiem und Lucien, sind Jugendfreunde aus Hinterland, dessen Freundschaft schon lange einer Feindschaft näher liegt. Der Rebell Requiem zieht in den Krieg und lässt seine Freu Jacqueline daheim. So wie Lucien, der sich in dessen Abwesenheit um Jacqueline kümmert. Todesnachrichten über Requiem erreichen Hinterland und als dieser unerwartet lebendig wieder heimkehrt, ist Jacqueline nicht mehr seine Frau, sondern jene von Lucien.
Wütend zieht es Requiem weg von Hinterland nach Stadtland, wo er sich mit viel Hinterlist ein Leben aufbaut, in welchem er über so machen Mächtigen die eigentliche Macht hat. Oft erpresst mit Nacktfotos von mit ihm zusammenarbeitenden Prostituierten. Der Lust – allen voran Sex und Alkohol – erliegen in Stadtland alle. Ausser Lucien. Er kommt nach vielen Jahren nach Stadtland zu seinem einstigen Freund Requiem.
„Du rauchst nicht, du fickst nicht, du isst keinen Hund, du steigst nicht ins Polygon hinab, du lieferst keine Ware aus, du versteckst dich vor den Mädchen, du trinkst keinen Schnaps, ich frage mich wirklich, was du mit deinem Leben anfängst!“
Obwohl Lucien bei Requiems Wohnung Unterschlupf findet, hat dieser nur eines im Kopf. Er will seinem einstigen Jugendfreund das Leben schwer machen. Ihn zerstören. Die Texte des Schriftstellers Lucien sind ihm ein Dorn im Auge und er weiss Veröffentlichungen mit seinen Mitteln zu verhindern. Selbst eine Lesung im Tram 83 geht gründlich schief.
Unerfüllte Lust
Geprägt wird der Roman weniger durch die Geschichte selbst. Vielmehr sind es die Lebensumstände in Stadtland und speziell dem Haupthandlungsort, dem Nachtclub Tram 83. Stadtland wird eisern regiert vom abtrünnigen General und dominiert von den reichen Bodenschätzen, welche in den diversen Minen abgebaut werden. Die Lust stillen sich die Grubenarbeiter, Studenten und Touristen genannten Minenbetreiber im Tram 83. Mit Alkohol, aber insbesondere mit viel Sex.
Das Tram 83: tags wie nachts unverwüstlich in seiner Pracht als Paradies auf Abwegen, die armseligste Kundschaft neben der, die ihr Geld aus dem Fenster wirft, Symbol einer absolut harmonischen, gemischten, aufgemischten Gesellschaft, Freibrief für Mendelsche Kreuzungen, große Zwangslieben, vorzeitige Samenergüsse.
Prostituierte jeden Alters bieten sich an. Die gemischten Toilettenanlagen werden für vieles benutzt. Urinieren und Scheissen ist dabei eher die Nebensache. Fleischtomatentitten massieren, blasen und ficken. die Konkurrenz ist gross und nicht gut Freund miteinander. Hier trifft Lucien auch auf den Verleger Malingeau – notabene ein Weisser Schweizer. Er darf sich berechtigte Hoffnungen machen, seine Texte zu publizieren. Doch da ist noch Requiem, der den Verleger schnell in seiner Hand hat, weil auch dieser dem sexuellen Trieb nicht wiederstehen kann.
Malingeau versuchte zu verhandeln, aber der Negus blieb bei seinen Forderungen.
„Wenn du diesen Dreckskerl veröffentlichst, veröffentliche ich deine Aktfotos.“
Unbekannter Autor
Für mich war Tram 83 eine ganz neue Erfahrung, insbesondere aufgrund der Erzählweise und dem Schreibstil. Selbstredend kannte ich auch den Autor Fiston Mwanza Mujila zuvor nicht. Er stammt aus der Demokratischen Republik Kongo, wo er 1981 in Lubumbashi geboren wurde. Seit 2009 lebt er in Graz, wo er an der Universität afrikanische Literatur unterrichtet sowie als Schriftsteller tätig ist.
Mit Tram 83 veröffentlichte er 2014 seinen ersten Roman (deutsche Übersetzung folgte 2016). 2017 erhielt er dafür den Internationalen Literaturpreis vom Haus der Kulturen der Welt und 2018 den Peter-Rosegger-Literaturpreis. In Tram 83 in Stadtland wird zwar nirgends explizit das Handlungsland der Geschichte erwähnt, doch spiegelt sich in Tram 83 wohl die Heimat des Autors wieder – der Kongo.
Weitere spannende Berichte über tolle Bücher und gute Autoren aus aller Welt findet ihr auf meiner Übersichtsseite der BUCHweltreise. Reiseberichte weiterer Lesereisenden gibt es auf umgeBUCHt. Weiterhin viel Spass beim Lesen und Reisen.
Dieser Beitrag erschien am 13. Dezember 2018 im Rahmen der BUCHweltreise auf meinem Blog querdurchdenalltag.com.
Kurzbeschreibung
Eine heruntergekommene afrikanische Stadt – wer hierherkommt, hat ein Ziel: Geld machen, egal wie. Das Tram 83 ist hier der einzige Nachtclub, das pulsierende Zentrum. Verlierer und Gewinner, Profiteure und Prostituierte, Ex-Kindersoldaten und Studenten, sie alle treffen in dieser Höhle aufeinander, um zu essen, zu tanzen, um sich zu betrinken und sich zu vergessen. Hier, an diesem von Kriegen und Korruption gezeichneten Ort, treffen sich auch zwei ungleiche Freunde wieder: Lucien, der Schriftsteller, findet auf der Flucht vor Erpressung und Zensur Schutz bei Requiem, der sich durch das Leben gaunert.
Buchtitel: Tram 83
Erscheinungsdatum: Juli 2018
Autor: Fiston Mwanza Mujila
Verlag: Hanser Literaturverlage
Haupthandlungsort: Afrika, Demokratische Republik Kongo
Genre: Roman