Mit dem toten Vater auf der letzten beschwerlichen Reise durch Syrien
Es ist ein aufwühlendes und eindrückliches Werk. Die Erzählung von Khaled Khalifa handelt vom Tod. Dem in Syrien so allgegenwärtigen Umgang mit toten Angehörigen. Der Roman erzählt die Reise dreier Geschwister, die mit der Leiche ihres Vaters zu dessen Todesstätte in seinem Heimatdorf fahren. Dem letzten Wunsch ihres Vaters. Eine Reise quer durch Syrien. Von Damaskus, welches unter dem Diktat des Regimes steht, bis nach Anabîja, nördlich von Aleppo, im von Rebellen kontrollierten Norden Syriens.
Bulbul lebt in Syriens Hauptstadt Damaskus, wo auf seine letzten Tage hin auch sein Vater lebt. Am Sterbebett nimmt Bulbul dem Vater seinen letzten Wunsch entgegen. Er möchte nicht auf irgend einem Friedhof im Land des Regimes beerdigt werden, sondern in seinem Heimatdorf Anabîja, nördlich von Aleppo. Auf dem Boden der Aufständischen, was auch er im Herzen ist. Bulbul verspricht ihm, seinen letzten Willen zu erfüllen. Doch ahnt er nicht, was er sich und seinen Geschwistern damit aufbürdet.
Mit der Leiche auf dem Beifahrersitz
Nach dem Tod des Vaters ruft Bulbul seine Geschwister zu sich. Den groberen Bruder Hussain sowie ihre Schwester Fatima. Die beiden sind zwar nicht begeistert, aber das Wort des Vaters zählt auch nach dessen Tod. So laden sie den Leichnam ihres Vaters auf den Beifahrersitz von Hussains Minibus und fahren los. Es beginnt eine beschwerliche Reise rund 400 Kilometer nordwärts. Vom Gebiet des Assad-Regimes bis in den von den Rebellen gehaltenen Norden.
Im Krieg ist ein Leichentransport ein normales Ereignis, das nur den Neid der Menschen weckt, deren Leben nichts anderes ist als quälende Todeserwartung.
Es mag uns Europäer, die den Krieg nicht kennen, schon schockieren, dass eine Leiche 400 Kilometer chauffiert wird. Einfach so, ohne spezielle Vorkehrungen. Bei heissen Temperaturen und Strassenbedingungen, bei welchen diese Distanz zu einem mehrtägigen Trip anwachsen wird. Hinzu kommen unzählige Checkpoints verschiedenster Armee-Einheiten. Regimetreue Gruppen, Regierungstruppen und später Soldaten der Aufständischen Einheiten.
Leichnam wird verhaftet
Im Herzen ist die Familie den Rebellen treu, doch sagt dies nichts aus, wie sie an den diversen Checkpoints entlang der Strecke behandelt werden. Der Beginn der Reise ist denn auch beinahe das Ende. Ihr Vater, notabene der Leichnam auf dem Beifahrersitz, wird verhaftet und solange am Checkpoint bei Damaskus festgehalten, bis sein Tod bestätigt und der Haftbefehl aufgelöst wurde. In diesem Stil geht die Reise weiter und auch im von den Rebellen kontrollierten Gebiet sind die Geschwister nicht sicher.
Nahe dem Ziel wird Bulbul von extremen Islamisten nach einer Koranprüfung festgehalten. Er soll solange in der Lehre des Korans geschult werden, bis er der Religion würdig ist. Es gelingt ihnen mit Hilfe von Verwandten, Bulbul vorzeitig wieder aus der Haft zu holen. Die Reise führt durch zerstörtes Land, in welchem die Leiche ihres Vaters nichts aussergewöhnliches ist. Kaum jemand, der sich nicht an tote Angehörige gewöhnt ist.
Auch eine Liebesgeschichte
So erschreckend der Roman auch ist, so ist er auch eine Liebesgeschichte. Sowohl dem Vater wie auch dem Sohn Bulbul ergeht es im Leben sehr ähnlich. Sie heiraten beide die falsche Frau und lieben jeweils eine andere. Während der Vater seine Liebe im Alter wieder findet, so bleibt sie Bulbul verwehrt. Die Liebe geht teilweise so weit, dass sich Frauen anzünden, weil sie nicht mit dem falschen Mann verheiratet werden wollen.
Die Geschichte vom Leichnam des Vaters löste überhaupt kein Echo aus. Sie hatten schon so viele ihrer Angehörigen tot gesehen. Der Tod war ihnen so nahe, dass er sie völlig unberührt liess.
Die Geschichte ist ein Roman. Erzählt von einem syrischen Autor, welche die tatsächlichen Umstände des Landes kennt. Es sind grausame Erzählungen, die noch erschreckender Wirken, wenn man sich ins Bewusstsein ruft, dass dies die Realität im vom Krieg gebeutelten Land ist. Ein Land, welches schon seit Jahren im Bürgerkrieg steht. Umkämpft von verschiedensten Einheiten mit den unterschiedlichsten Interessen. Ein Ende nicht abzusehen.
In Syrien verboten, international gefeiert
Die Bücher des syrischen Autors Khaled Khalifa sind in seinem Heimatland durch das Regime verboten. Es kursieren illegale Raubkopien, pdf-Dateien. Teilweise werden seine Werke im Libanon gedruckt und nach Syrien geschmuggelt. International sind seine Werke umso mehr ein Erfolg. Auf Deutsch wurde 2018 erstmals der Roman Der Tod ist ein mühseliges Geschäft übersetzt, welcher 2016 im Original unter dem Titel al-Maut ‘amal šaqq erschien. Trotz allen Widrigkeiten, weigert sich Khaled Khalifa ins Exil zu ziehen und lebt weiterhin in Damaskus.
Fatima liefen die Tränen über die Wangen, sie schwieg. Eine innere Kraft drängte Bulbul, sich gegen Hussain und seinen rüpelhaften Umgangston durchzusetzen. Er würde den letzten Willen seines Vaters erfüllen, und wenn er ihn auf dem Rücken tragen müsste.
Nach Syrien werde ich wohl nicht sobald real reisen. Auf meiner BUCHweltreise war das vom Krieg gebeutelte Land jedoch eine Reise wert. Man hört viel in den Nachrichten, immer wieder, aber nie alles. Ein Buch zu lesen von einem syrischen Autor, welcher auch selbst noch dort lebt, zeigt einem plötzlich die wahren Brutalitäten auf. Auch wenn es ein Roman ist, so steckt viel brutale Realität drin.
Dieser Beitrag erschien am 5. Dezember 2019 im Rahmen der BUCHweltreise auf meinem Blog querdurchdenalltag.com.
Kurzbeschreibung
Eine Reise durch Syrien der besonderen Art: Die drei Geschwister Fâtima, Hussain und Bulbul transportieren in Hussains Minibus ihren in einem Damaszener Krankenhaus verstorbenen Vater. Sein letzter Wunsch war es, in seinem Heimatdorf bestattet zu werden. Was in früheren Zeiten problemlos zu bewältigen gewesen wäre, wird im Krieg zur fast unlösbaren Aufgabe. Das Land ist durchsetzt von Straßensperren konkurrierender Kampftruppen. Eine Reihe skurriler Hindernisse stehen den Reisenden im Weg: An einem von Islamisten eingerichteten Checkpoint muss eine Religionsprüfung abgelegt werden. Und an einer anderen, von der staatlichen Armee aufgebauten Straßensperre, wird sogar der Leichnam für eine Weile inhaftiert, weil sich der Name des Vaters auf einer Liste gesuchter Personen befindet. Während der umständlichen, langen Autofahrt von Damaskus im Süden bis in das väterliche Heimatdorf nördlich von Aleppo hängen die drei Geschwister ihren Gedanken und Erinnerungen an das Familienleben nach. Mit melancholischer Komik beschreibt Khaled Khalifa den Alltag in Syrien und gibt Einblick in die Struktur einer syrischen Familie. Ein wirklich außergewöhnlicher Road-Trip durch ein zerstörtes Land, ein Buch über Kinder und Väter, über aktuelle Verwüstungen und zeitlose Hoffnungen.
Buchtitel: Der Tod ist ein mühseliges Geschäft
Erscheinungsdatum: November 2019
Autor: Khaled Khalifa
Verlag: Rowohlt
Haupthandlungsort: Asien, Syrien
Genre: Roman