Träumen erlaubt – Laufen wie ein Kenianer
Laufen erfreut sich grosser Beliebtheit, vom Hobbyläufer bis hin zum Profiläufer. Immer wieder dürfen wir uns denn auch über Erfolge europäischer Läuferinnen und Läufer freuen – und dennoch stehen bei den grossen Laufevents der mittleren bis langen Distanzen oftmals die grazilen und stets schnellen Afrikaner aus Kenia oder Äthiopien ganz vorne in der Rangliste.
Kein Wunder also, reisen viele Europäer für ein mehrwöchiges Höhentraining nach Kenia. Um selbst schneller zu werden, aber auch um herauszufinden, weshalb die Kenianer dermassen schnell sind. Der Brite Adharanand Finn und der Deutsche Jan Fitschen berichten in ihren empfehlenswerten Büchern von ihren Erfahrungen. Lest weiter, erfahrt mehr – und werdet damit vielleicht auch selbst noch schneller.
Auf meiner BUCHweltreise geht es für einmal sehr aktiv zu und her. Aktiv und schnell, wobei wir uns beim Lesen durchaus Zeit nehmen dürfen. Ich reiste mit den Laufschuhen im Gepäck nach Kenia. Ins Epizentrum der schnellsten Läufer der Welt. Zum Home of Champions, wie es bei der Einfahrt zur Läuferstadt Iten heisst. Begleitet wurde ich durch den britischen Journalisten und Läufer Adharanand Finn und den deutschen Profiläuer Jan Fitschen.
Beide haben sie ihre Kenia-Erfahrungen in ein Buch niedergeschrieben. Beide trainierten sie ihr Lauftempo in Iten mit den einheimischen Läufergruppen. Und beide waren sie auf der Suche nach dem Geheimnis der kenianischen Dominanz bei den Mittel- und Langstreckenwettkämpfen. Weshalb existiert ausgerechnet irgendwo in Kenia eine solche Dichte an potenziellen Spitzenläufern? So unterschiedlich die Bücher sind, kamen sie doch auf sehr viele gemeinsame Erkenntnisse.
Das Geheimrezept
Eines davon ist: es gibt kein kopierbares Geheimrezept. Schade eigentlich, aber auch gut so. Vielmehr ist das Laufen seit jeher stark verwurzelt bei der kenianischen Land-Bevölkerung, speziell in der Völkergruppe der Kalendjin. Eine Geschichte, welche von beiden Büchern aufgegriffen wird, geht auf den Diebstahl von Kühen zurück, welche die Kalendjin nicht mit Gewalt, sondern mit läuferischer Geschwindigkeit erfolgreich praktizierten. Die langsamsten blieben auf der Strecke, die schnellsten kehrten mit dem Diebesgut zurück und kamen so zu Ansehen und Ruhm. Kühe geniessen übrigens auch heute noch einen sehr hohen Stellenwert und werden nicht geschlachtet, sondern als Milchlieferant benötigt.
Die schnellen Läufer stammen in aller Regel aus der ärmeren Landbevölkerung, viele aus Gegend um Eldoret und Iten herum. Iten gilt dabei als das grosse Zentrum, wo auch viele Laufcamps beheimatet sind. Laufen bildet dort oft die einzige Chance, aus der Armut heraus zu kommen. So laufen die Kenianer von kindesbeinen an und versuchen sich immer wieder, an Laufwettkämpfen den anwesenden Trainern bekannt zu machen. Nur mit ihnen wird es überhaupt möglich, an internationalen Rennen teilzunehmen und mit schnellen Zeiten Preisgelder abzusahnen.
Das Läuferleben
Einen grossen Anteil an den Erfolgen der kenianischen Läufer hat Bruder Colm O’Connell. Der irische Missionar und Leichtathletik-Trainer kam 1976 nach Iten, um für drei Monate an der St. Patrick’s High School zu unterrichten. Er blieb bis heute und führte zahlreiche Kenianer zu internationalen Siegen und Weltrekorden. Unter vielen anderen David Rudisha, aktueller Weltrekordhalter über 800 Meter. Schulen wie diese ermöglichen es den Kindern, Laufen und Ausbildung zu vereinen, was oft entweder zu läuferischen Erfolgen oder Stipendien im Ausland führt.
Viele andere versuchen es auf eigene Faust und versuchen, an Rennen mit schnellen Zeiten aufzufallen, um es in ein Laufcamp eines der zahlreichen Trainer zu schaffen. Die Kenianer laufen oftmals in erster Linie des Geldes wegen. Was aus unserer Sicht gierig klingt, scheint aus kenianischer Sicht nur logisch. Bei ihnen geht es schlicht um das einfache Leben, nicht um den Luxus, wie das bei uns der Fall wäre. Die erfolgreichen Läufer investieren ihr Geld wiederum in Unterkünfte, Hotels oder Laufcamps in der Heimat und finanzieren das Leben der ganzen Familie, wenn nicht sogar der Verwandtschaft.
Das Erlebnis
Die beiden Autoren besuchten Iten aus unterschiedlichen Gründen. Jan Fitschen reiste schon mehrmals für rund vierwöchige Trainingslager nach Kenia und nutzt diese hauptsächlich, um schneller zu werden. Mit Erfolg, wie sein Europameistertitel über 10’000 Meter von 2006, seine Marathon-Bestzeit von 2:13:10 h (Berlin, 2012) sowie seine zahlreichen Deutschen Meistertitel von 3’000 Meter bis zum Halbmarathon zeigen. Er berichtet über sehr viele praktische Dinge über Trainingslager in Kenia mit eventuell zusätzlichen Ferientagen am Strand oder auf Safaris. Er gibt dabei einen tiefen Einblick, wie das Laufen mit den Einheimischen ablaufen kann – und dass sich auch ein deutscher Spitzenläufer mal komplett langsam vorkommt.
Ein anderes, wenn auch ähnliches, Ziel verfolgt der Journalist Adharanand Finn. Er war als Kind ein schneller Läufer, vernachlässigte danach jedoch jahrelang das Laufen. Als freier Journalist des Laufmagazins Runner’s World findet er selbst wieder zum Laufen und will in Kenia am berühmt berüchtigten Lewa Marathon teilnehmen. Dafür reist er mit seiner Familie für mehrere Monate nach Iten, um zu trainieren, ein Team zu bilden und von den Einheimischen zu lernen. Inspiriert von Christopher McDougall und seinem Buch Born To Run (siehe auch Born To Run – auf der Suche nach dem Geheimnis des glücklichen Laufens), ist er sehr vom Barfusslaufen angetan – nur um in Kenia festzustellen, dass dort die schnellsten Läufer ebenfalls mit modernen Laufschuhen laufen.
Das Lesen
Aber welches der beiden Bücher soll man nun lesen? Naja, beide. Welches zuerst, ist egal. Und wer nur eines lesen mag, der fängt mit einem der beiden an und wird wohl automatisch auch das andere lesen – sofern die Begeisterung so gross ist wie bei mir. Auch wenn die kenianischen Läufer dermassen schnell sind, dass unsere europäischen Spitzenläufer dagegen langsam aussehen, konnte ich einiges für mich daraus mitnehmen. Es sind kleine Dinge und meist ist es reine Kopfsache.
Auf Dauerläufen oder langen Läufen denke ich immer wieder an die Kenianer, welche einfach schnell loslaufen, um am Ende noch viel schneller zu werden. Sie laufen über die Hügel um Iten, ohne GPS, rein nach Gefühl und mit einer Lockerheit, die selbst Spitzenläufer beeindrucken. Stets mit einem Lächeln im Gesicht. Diese Lockerheit, die Freude und das Lächeln versuche ich bei meinen Läufen ebenfalls umzusetzen. Und schlussendlich tut es halt einfach auch ein wenig gut, zu wissen, dass auch Spitzenläufer mit Bestzeiten jenseits von gut und böse, auch mal langsam aussehen gegenüber den schnellsten der Schnellsten aus Kenia.
Im Land des Laufens – Mein Zeit in Kenia von Adharanand Finn erschien 2014 bei Malik National Geographic.
Wunderläuferland Kenia – Die Geheimnisse der erfolgreichsten Langstreckenläufer der Welt von Jan Fitschen erschien 2015 bei Unimedica (Narayana Verlag).
Dieser Beitrag erschien am 23. Juni 2020 im Rahmen der BUCHweltreise auf meinem Blog querdurchdenalltag.com.
Buchtitel: Wunderläuferland Kenia
Erscheinungsdatum: 2016
Autor: Jan Fitschen
Verlag: Unimedica (Narayana Verlag)
Haupthandlungsort: Afrika, Kenia, Iten
Genre: Sachbuch
Buchtitel: Im Land des Laufens
Erscheinungsdatum: Oktober 2018
Autor: Adharanand Finn
Verlag: Malik National Geographic
Haupthandlungsort: Afrika, Kenia, Iten
Genre: Sachbuch