Die Engel sterben an unseren Wunden

Die BUCHweltreise führte mich jüngst in ein Land zwischen Armut und Reichtum. Zu einer Familie, welche nichts hat und selbst dies noch verliert. Zu einem Jungen, der mehr will, als einfach in Armut weiterleben. Zu einem jungen Mann, der mit seiner starken Linken Faust grosse Erfolge feiert – und schlussendlich daran zugrunde geht.

Erfahrt mehr über die berührende und packende Lebensgeschichte des jungen muslimischen Algeriers Turambo.

In die Armut geboren

Der junge Muslim Turambo trägt den Namen seines Dorfes, in welchem er geboren wurde. In den 1920er Jahren, zwischen den Weltkriegen wird sein Dorf von einer Erdlawine verschüttet und zerstört. Sein Vater, welcher seit seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg nicht mehr er selbst war, wird seither vermisst und für Tot gehalten. Von nun an nennt sich der Junge Turambo, um sein Heimatdorf nie zu vergessen. Sein einige Jahre älterer Onkel, der Bruder seiner Mutter, ist von nun an das Familienoberhaupt.

„Turambo? Auf welcher Seite der Hölle liegt das?“

Sie ziehen weiter nach Graba, in das Vorstadtghetto von Sidi Bel Abbes. Hier fangen sie erneut bei null an und schaffen es irgendwie, über die Runden zu kommen. Turambo schlendert tagsüber meist umher. Ohne Perspektiven, ohne Bildung. Findet er bei Händlern des Ghettos eine Arbeit, so sind ihm diese selten gut gesinnt. Auch erlernt er kaum den Umgang mit anderen Menschen. Misstrauen prägt ihn von anfang an. So lernt er schon früh, seine starke Linke Faust einzusetzen, ohne wirklich an mögliche Folgen zu denken. Doch in der Welt der Armen muss man sich durchsetzen können.

Der grosse Aufstieg

Mit einem anderen Jungen wagt er eines Tages den Gang in die Stadt. In die ihm verwehrte Welt der besseren Gesellschaft. Er versucht sich dort als Schuhputzer, wodurch er ein wenig Geld heimbringen kann. Doch diese Arbeit ist eines Muslim nicht würdig und so erntet er nur Häme und Spott von seinem Onkel und Familienoberhaupt. Als er grundlos von einem Stadtjungen eines Verbrechens beschuldigt wird, wird er brutal durch die Polizei verprügelt und aus der Stadt vertrieben. Einmal mehr wird klar, woher Turambo stammt und wohin er gehört – in die Gosse der Vorstadt.

Doch er will mehr und als auch die Hütten von Graba zerstört werden, zieht seine Familie weiter nach Oran. Dort beziehen sie erstmals eine feste Bleibe, doch für Turambo ändert sich nicht viel. Er schlendert herum und versucht, Arbeit zu finden. Er freundet sich mit einem Jungen aus er Nachbarschaft an, Gino, und erhält durch ihn die Chance, in einer Autowerkstatt zu lernen. Doch dies endet brutal, als Turambo durch seinen Instinkt getrieben einen reichen Herren der Stadt niederschlägt, als dieser aufgrund eines Fleckes auf dem Autositz ausfällig und handgreiflich wird gegenüber Gino.

Die Macht der Faust

Doch egal, ob er im Recht war oder nicht, arme Jungen schlagen keine reichen Herren. Per sofort verlieren beide Jungen ihre Arbeit, doch ein anderer Herr, der Box-Trainer DeStefano, wird auf Turambo und seine starke linke Faust aufmerksam. Er will ihn zum Boxsport holen und mit ihm wieder lange vergessene Erfolge feiern. Doch Turambo will und darf nicht, da ein Muslim keinen Kampfsport betreibt. Die Zeit vergeht und als Turambo keinen Ausweg mehr sieht, fängt er gegen den Willen seiner Familie mit dem Boxsport an.

Mit grossem Erfolg. Im Ring ist er der Star und so wird schon bald ein reicher Investor, der Duc, auf ihn aufmerksam und investiert viel Geld – um selbst noch mehr zu verdienen. Turambo selbst verdient nun ebenfalls viel Geld und lebt in Saus und Braus. Auch findet er seine grosse Liebe, welche ihn jedoch nur ohne das Boxen akzeptiert. Doch der Boxer Turambo ist kein Mensch mehr, er ist eine Spielfigur der Investoren und muss ganz einfach im Ring funktionieren.

Der grosse Fall

Viel zu spät merkt Turambo, dass er trotz der grossen Erfolge, als Mensch noch immer nicht mehr wert ist, als in seiner früheren Kindheit. Er ist im Grunde noch immer ein armer Muslim, welcher in der Welt der reichen französischen Kolonialherren nichts zu sagen hat. Einstige Freundschaften gehen zu Bruch und Turambo sieht nur noch die Liebe zu Irène. Er will mit dem Boxen aufhören, doch werden ihm deshalb nur Steine in den Weg gelegt. Als Irène ermordet aufgefunden wird, bricht seine Welt komplett auseinander.

Sie nickte. Als ich gerade die Tür unserer Hütte aufmachen wollte, schlang sie mir die Arme um den Hals und presste ihre Lippen auf meinen Mund. Ehe ich begriff, was geschah, war sie verschwunden.

Turambo greift selbst zum Messer, ersticht seinen einstigen Freund Gino und bringt in der Folge in einem grossen Getümmel von Fäusten und Tritten einen weiteren Herren um. Er landet im Gefängnis, wird zum Tode verurteilt und kommt wieder frei. Doch die wirkliche Freiheit, nach der er sich schon von Kindesbeinen an sehnt, wird er nie mehr finden. Trotz den grossen Erfolgen, war seine Position in der Gesellschaft Algeriens schon früh bestimmt.

Die berührenden Worte

Die Geschichte von Turambo packte micht total. Die Worte des algerischen Autors Yasmina Khadra berühren und gehen nahe. Es ist die Gewissheit, dass solche Geschichten auch heute noch real sind. Dass sich unsere Gesellschaft im Grunde kaum geändert hat. Hinter dem Pseudonym Yasmina Khadra verbirgt sich der algerische Schriftsteller Mohammed Moulessehoul. Bereits im Kindesalter wurde er auf die Militärschule geschickt, wo er Karriere machte bis zu einem hohen Offizier.

In seinen Romanen schreibt er immer wieder über die algerischen Alltagsdramen, die Korruption und die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit seines Heimatlandes. Yasmina Khadra sind die Vornamen seiner Frau. Er schreibt unter diesem Pseudonym, um der strengen Zensur Algeriens zu entkommen. Seit 2000 lebt er mit seiner Familie in Frankreich im Exil.

Geschichten rund um die Welt

Der Roman Die Engel sterben an unseren Wunden von Yasmina Khadra hat mir einmal mehr gezeigt, welche berührende und packende Geschichten es zu entdecken gibt auf dieser Welt. Von Autorinnen und Autoren aus Ländern, wo wir oftmals nicht zuerst nach einem guten Roman suchen würden. Deshalb ist die BUCHweltreise für mich immer wieder spannend, wenn ich bewusst nach Ländern suche, die einfach anders sind als unser Mitteleuropa.

Die BUCHweltreise geht weiter. Alle bisherigen Leseziele findet ihr auf meiner Übersichtsseite. Weitere BUCHweltreisende findet ihr zudem auf umgeBUCHt, wo die BUCHweltreise vor drei Jahren seinen Anfang nahm. Und wenn ihr auf der Suche seid nach einem spannenden Buch von irgendwoher, nah und fern, dann schaut auch mal auf buchweltreise.ch vorbei – dort findet ihr viele Bücher rund um die Welt auf der interaktiven Karte.


Dieser Beitrag erschien am 12. März 2020 im Rahmen der BUCHweltreise auf meinem Blog querdurchdenalltag.com.

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Kurzbeschreibung

Algerien, 1937. Turambo sitzt im Gefängnis und wartet. Im Morgengrauen wird der Wärter ihm die letzte Mahlzeit bringen, die letzte Zigarette. Turambo versucht, ruhig zu bleiben, nachzudenken. Er ist 27 Jahre alt. Was ist aus ihm geworden? Er erinnert sich an seine Kindheit, an Hunger und Armut. An seine unbändige Sehnsucht, aufzusteigen und in Freiheit und Würde zu leben – wie die französischen Kolonialherren. Er denkt an seinen Freund Gino, der ihn auf dem Weg aus der Gosse zum gefeierten Boxchampion begleitete. An Irène, die Liebe seines Lebens, für die er seine Karriere opferte und zum Verbrecher wurde.

Eindrucksvoll erzählt Yasmina Khadra die tragische Geschichte eines jungen Mannes, der von einem besseren Leben träumt – und scheitert. In atmosphärisch dichten Szenen gewährt er außerdem Einblick in ein zerrissenes Land, in dem Korruption und unüberwindbare soziale Gegensätze den Nährboden für Angst und Terror bereiten.

Yasmina Khadra Die Engel sterben an unseren Wunden

Buchtitel: Die Engel sterben an unseren Wunden

Erscheinungsdatum: Oktober 2015

Autor: Yasmina Khadra

Verlag: Ullstein Buchverlage

Haupthandlungsort: Afrika, Algerien, Oran

Genre: Roman

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